Gäste: Andrea und Katja Barrueto, Co-Founderinnen von chili-lotus (shecoaches) Dauer: 01:01:56
«Um wirklich zu gedeihen, müssen wir erkennen, dass es einen nahtlosen Übergang zwischen unseren Gedanken, unserem Verhalten und unserem Körper gibt.»
Dr. Christiane Northrup
Gastbeitrag: Katja und Andrea Barrueto (chili-lotus)
Wir Menschen sind einzigartige Lebewesen. Wir kommen mit einem schier unendlichen Potential auf diese Welt, welches uns im Idealfall erlaubt, uns sowohl als Individuum wie auch als Gemeinschaft zu verwirklichen und weiterzuentwickeln. Und doch scheint es genauso viele Hindernisse zu geben, die uns davon abhalten, dieses Potential vollends auszuschöpfen. So müssen wir uns im Laufe unseres Lebens immer mal wieder an unsere Kraft erinnern um unser Potential zu reaktivieren, neu zu pflegen und zu kultivieren. Es ist auch immer wieder nötig innezuhalten und zu erkennen, wo und wie wir uns selber daran hindern oder uns daran gehindert fühlen, unser bestes authentisches Selbst vollends auszuleben. Um dies zu tun, benötigen wir sowohl einen gesunden flexiblen Geist wie auch einen gesunden flexiblen Körper. In Anbetracht unserer Beziehung zu unseren Körpern und unserer Gesundheit scheint es hierbei in unserer Gesellschaft einen kollektiven Nachholbedarf zu geben.
Warum fällt es vielen Menschen so schwer, achtsam mit dem eigenen Körper umzugehen? Warum ist das bewusste Befassen mit und Wahrnehmen des eigenen Körpers oft mit Peinlichkeit besetzt und wird sehr schnell in die esoterische Ecke gesetzt1?
In allen westlichen Kulturen zählen Leistung und Intellekt wesentlich mehr als Gesundheit und Gefühle. Obwohl es grundsätzlich ökonomisch nachhaltiger wäre2, so wird in Prävention und Gesundheitserhaltung nicht gleichermassen investiert wie in kurative Leistungen3. Tatsächlich ist das Budget für Prävention und Gesundheitsförderung in der Schweiz seit mehreren Jahren sogar rückläufig4. Obwohl es also in der Bevölkerung wie auch in Politik und Wissenschaft seit jeher und zunehmend Stimmen gibt, die ein Umdenken fordern, werden gesellschaftlich wie auch politisch Bewusstsein und Geist getrennt vom Körper wahrgenommen. Wir geben zudem die Autorität über unsere physischen Körper häufig bereitwillig an Wissenschaften ab, die selbst nicht (mehr) ganzheitlich arbeiten und den Körper in scheinbar unzusammenhängende Einzelteile aufteilen. Solange wir Leistung vollbringen und funktionieren, stets am Arbeitsplatz, an Wettkämpfen und lächelnd auf Social Media erscheinen, solange spielt es heutzutage meist keine Rolle wie gesund wir tatsächlich sind und ob Arbeitsbedingungen und Lebensstil unsere Gesundheit fördern oder negativ beeinflussen.
Männer wie Frauen sind hiervon gleichermassen betroffen, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Wir alle benötigen eine tiefe Verbindung mit und ein besseres Verständnis über unseren Körpern. Wie es Maja Schorch in ihrem Buch Embodiment1 so treffend formuliert hat: «Es ist höchste Zeit, unser wichtigstes Erfahrungsinstrument zurückzuerobern – unseren Körper». Wenn wir wieder lernen, Körperempfindungen wahrzunehmen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, können wir auch besser gemäss unseren Bedürfnissen handeln. Verspürst du zum Beispiel während der Arbeit eine Konzentrationsschwäche, Schwindel oder Schmerzen im Körper, ist dies ein Hinweis darauf, dass du eine Pause, etwas zu Essen oder Bewegung und frische Luft benötigst. Die Herausforderung hierbei ist nicht nur, sich dies bewusst zu machen, sondern danach auch für seine Bedürfnisse einzustehen. In der aktuellen Zeit von Homeoffice fällt es gewiss einigen Arbeitenden leichter, gemäss ihrem inneren Rhythmus zu arbeiten ohne sich für den zigsten Toilettengang, den Snack oder den 20-minütigen PowerNap rechtfertigen zu müssen. Doch ob sie sich dies auch erlauben oder sich durch den konstanten Online-Status wiederum kontrolliert fühlen (und vielleicht auch werden), ist ein Thema für sich und zeigt wiederum auf, wie Leistung und Präsenz gegenüber körperlichen Bedürfnissen ausgelegt werden. Oftmals können Arbeitnehmende nicht selbst entscheiden, wie sie sich ihre Pausen einteilen oder ob sie sich ein kurzes Nickerchen an einem ruhigen Ort gönnen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass meist gar kein solcher Ruheort angeboten wird. Auch ernährungstechnisch gibt es im Alltag oftmals nicht die Möglichkeit, stets auf eine ausgewogene frische, den eigenen Bedürfnissen entsprechend Ernährung nachzugehen. Und häufig wissen wir gar nicht mehr, wie wir die verschiedenen Arten von Hunger und Gelüste richtig deuten sollen. Lust auf spezifisch Süsses kann hierbei zum Beispiel ein Zeichen des Körpers sein, dass er Vitamine (Früchte) benötigt, was sich gefühlsmässig unterscheidet von einem Heisshunger auf Süsses, der angibt, dass wir Kohlenhydrate benötigen und definitiv zu lange mit Essen gewartet haben.
Ganz im Sinne von Konrad Lorenz’ Zitat5: «Man schützt nur, was man liebt, man liebt nur, was man kennt» sollten wir alle unsere Körper, am besten von klein auf, neu kennenlernen um ihm stets die gebürtige Achtsamkeit zukommen lassen. Ein gut funktionierender Körper, ein gut funktionierendes Gehirn und ein gut funktionierender Geist sind untrennbar miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig.
Im nächsten Teil dieses Artikels betrachten wir unseren funktionellen Körper etwas genauer, gehen auf das Autonome Nervensystem ein und rufen uns in Erinnerung, was für ein Wunder unser Körper eigentlich ist und weshalb wir ihn – und somit uns – pflegen, kultivieren und ehren sollten.
Mehr Liebe und Achtsamkeit für unsere Körper
Alles Leben, wie wir es heute kennen, entstand evolutiv aus kleinsten einzelnen Zellen. Diese haben es über Jahrtausende zur Perfektion gebracht, sich miteinander zu verbinden, multizelluläre Organismen zu bilden und im Gleichgewicht mit sich selbst und der Umwelt zu leben.
Auch wenn wir uns dessen meist nicht bewusst sind (oder sein müssen), so sind es diese einzelnen Abermillionen von Zellen und Bakterien, die in unserem menschlichen Körper als kleinste lebende Einheit tagtäglich für unser Wohl sorgen. Sie leben in tiefer Verbundenheit und Abhängigkeit voneinander und benötigen einen gesunden funktionierenden Organismus für das eigene Überleben. Untereinander sind sie über fein abgestimmte, ultra-sensitive Systeme in ständigem Austausch und koordinieren den Transport von Nähr- und Abfallstoffen. Sie bilden unsere Organe, schützen uns als Haut und hocheffizientes Immunsystem vor schädlichen externen Einflüssen und sorgen als Darmbakterien, Vaginalflora und auf unserer Haut für unsere Gesundheit6. Jede Zelle hat ihre spezifische Aufgabe und arbeitet im Idealfall perfekt mit ihrer Umwelt zusammen. Unser Körper ist also ein kontinuierlich interagierendes System, welches höchst dynamisch stets Inputs aus der inneren und äusseren Umwelt wahrnimmt, diese auswertet und sich jeweiligen dominanten Bedürfnissen und Bedingungen anpasst. Dies tut er konstant, unser ganzes Leben lang und immer mit dem Ziel, Störungen zu vermeiden, auszugleichen und unsere Gesundheit bestmöglich zu erhalten.
Unsere Körper sind unglaublich vielfältig. Wir können uns auf so viele unterschiedliche Arten fortbewegen wie keine andere Tierart. Wir können schwimmen, tauchen, klettern, kriechen, tanzen, joggen, hüpfen und mit etwas Hilfe sogar fliegen. Unsere Sinne erlauben uns, unsere Umwelt vielschichtig wahrzunehmen. Wir können, wenn wir uns darin üben, multiple Orgasmen erleben, können als Frauen mit unserer Gebärmutter kleine Wesen heranwachsen lassen, wobei hierfür einmal der gesamte Metabolismus auf den Kopf gestellt wird. Unser Körper sorgt dafür, dass wir uns konzentrieren, Daten speichern und Kreativität ausleben können. Er nutzt jede Ruhephase, die wir ihm gönnen, zur Verdauung, zur Aktivierung unseres Immunsystems und zur Regeneration. Er lässt uns trainieren und physische Höchstleistungen vollbringen. Er stellt während physischer Aktivität Sauerstoff und Nährstoffe übers Blut bereit, fährt unwichtige Funktionen herunter und wird im Anschluss regenerieren, Muskeln aufbauen und gelernte Bewegungsabläufe speichern. Störungen durch Nahrungsüberschuss, Alkohol und Nikotin und sonstigen Stress versucht er stets auszugleichen und sendet hierbei unablässig Warnsignale an uns mit der Bitte, unser Verhalten doch bitte zu ändern.
Das Autonome Nervensystem
Viele dieser Aktivitäten laufen unwillkürlich ab, das heisst, dass wir den Ablauf nur bedingt, bis gar nicht steuern können7. Reguliert und gesteuert werden die Organfunktionen und inneren Abläufe unseres Körpers hauptsächlich über das Autonome Nervensystem (auch: Vegetatives Nervensystem). Hierzu zählen z.B. die Steuerung des Herz-Kreislaufsystems, des Verdauungssystem und die Unterhaltung des Immunsystems, es unterhält verschiedene Schlafmechanismen sowie Erektion und Orgasmus. Um es kurz zu fassen kann man sagen, dass ein gut funktionierendes Autonomes Nervensystem eine Schlüsselkomponente für das Überleben und für die Gesundheit von uns Menschen darstellt.
Das Autonome Nervensystem besteht aus einem entspannenden- parasympathischen Ast und einem aktivierenden- sympathischen Ast. Beide halten sich in einem gut funktionierenden Organismus dynamisch im Gleichgewicht und sorgen dafür, dass wir rasch mit angemessener physischer Regulation auf eine Änderung in der Umwelt reagieren und uns den gegebenen Umständen anpassen können.
Als Beispiel für die Funktionsweise des Autonomen Nervensystems betrachten wir eine Antilope in ihrer natürlichen Umgebung. Diese ist friedlich am Fressen, keine Gefahr droht, sie befindet sich im parasympathischen Modus. Ihr Tonus ist hierbei entspannt, das Herz schlägt ruhig, ihre Pupillen sind klein. Ihr Körper kann sich auf die Verdauung konzentrieren, so dass Nahrung effizient aufgenommen und ausgeschieden werden kann. Durch den dominanten Parasympathikus kann das Abwehrsystem auf Hochtouren arbeiten, mögliche Entzündungsprozesse können eingedämmt oder gestoppt werden und der gesamte Organismus befindet sich in einem Gleichgewicht von Aufbau, Abbau und Regeneration. Das Gehirn, welches mit seinen Nervenzellen am meisten Sauerstoff benötigt, braucht nicht viel zu leisten, die Antilope befindet sich in einem quasi-meditativen Zustand. Auch für Fortpflanzungsprozesse sowie für die meisten kognitiven Lern- und Denkprozesse benötigt es einen aktiven Parasympathikus. Dieser ist auch bekannt als Entspannungs-Verdauungs-Modus bzw. Rest and Digest-Modus.
Entdeckt die Antilope plötzlich einen Geparden im Gras, so erfährt ihr gesamter Organismus eine massive Zustandsänderung: Verdauung, Immunsystem, Entspannung sind in einer solchen Gefahrensituation nicht mehr gefragt, der sympathischen Modus wird aktiviert. Die Blutzufuhr zum Magendarmsystem, den Nieren, den Organen des Immunsystems sowie zu gewissen Arealen des Gehirns wird sofort eingeschränkt. Das aktivierte Stresssystem schüttet Stresshormone aus, die dafür sorgen, dass Energie für die aktuell lebenswichtigen Organe bereitgestellt werden: Muskulatur, Herz und Regionen des Gehirns, die für die erhöhte Aufmerksamkeit und Sensorik zuständig sind. Die Antilope ist in einem Zustand intensiver Bereitschaft, ihre Pupillen sind gross, die Ohren gespitzt, die Muskulatur angespannt. Soll sie fliehen? Soll sie sich totstellen8? Soll sie kämpfen? Dies sind die drei Optionen des Kampf-, Flucht-, Erstarrungs-Modus, auf Englisch „Fight-, Flight- or Freeze-Mode“, welcher sowohl bei der Antilope wie auch bei den meisten Lebewesen inklusive uns Menschen beobachtet werden kann.
Für die Aktivierung dieses sympathischen Modus benötigt es auch nicht immer einen Geparden in nächster Nähe. So kennen wir alle das Herzrasen und den Angstschweiss, nur schon beim Gedanken an eine wichtige Präsentation. Wir kennen teilweise auch das Erstarren während einer Attacke oder während eines Unfalles, welches wir im Nachhinein als Schwäche oder Unfähigkeit abtun statt zu erkennen, dass dies eine natürliche Schutzreaktion des Körpers darstellt, die zum Beispiel einer Antilope auch das Leben retten kann. Wir kennen Appetitlosigkeit, Schlafstörungen und die körperliche Nervosität, wenn wir generell unter emotionalem oder physischem Stress stehen. Und wir kennen die hohe Anspannung des gesamten Körpers und die Lust, zu stampfen oder zu schlagen, wenn wir wütend sind und uns verteidigen wollen. Dies unabhängig davon, dass der Feind nicht in Form eines Geparden sondern als persönliche Beleidigung daherkommt. Dies alles sind körperliche Befindlichkeiten, welche durch den sympathischen Modi verursacht werden und in einer akuten Gefahrensituation auch überlebensnotwendig sind. Sie lassen unsere Antilope sprichwörtlich um ihr Leben rennen. Die beiden Prozesse Fight-Flight-Freeze (Sympathikus) oder Rest-Digest (Parasympathikus) machen also das Autonome Nervensystem aus und beeinflussen konstant den gesamten Organismus. Hierbei sind beide stets in unterschiedlichem Ausmass aktiv. Das Autonome Nervensystem wird als solches bezeichnet, weil der Grossteil seiner Regulationen für uns unbewusst abläuft und nicht willkürlich gesteuert werden kann. Dennoch können wir durch bewusstes Verhalten und Erkennen unserer Bedürfnisse positiv Einfluss auf das System nehmen und vice versa.
Um dies zu verdeutlichen, betrachten wir nochmals die Antilope: Diese ist vom Geparden geflohen und hat ihre gesamte Energie für die Flucht verwendet. Sobald keine Gefahr mehr droht, kehrt sie nach einem Zeitraum von zehn Minuten wieder in den Entspannungszustand zurück. Es kann vorkommen, dass nach einem Angriff ein Muskelzittern auftritt, welches als Abschütteln des hohen Tonus und als Entladung überschüssiger Energie gedeutet wird7. Bei uns Menschen wird dieser gesunde Mechanismus leider durch kognitive Einflüsse häufig unterdrückt. Trotz der soeben erfahrenen, massiv existenziellen Bedrohung wird die Antilope auch nicht länger als nötig im Flucht-Modi verweilen, dies käme einem Energieverlust gleich. Sie bleibt zwar noch in wachsamer Bereitschaft, allerdings nur solange wie nötig. Sie wird weder das Geschehene konstant wieder aufleben lassen noch ihren Freunden davon erzählen und sich auch keine stressigen Worst-Case-Szenarien ausdenken. Sie widmet sich vielmehr ihrem Bedürfnis nach Erholung. Sie ruht sich aus und wird durch das reaktivierte Regenerations- und Verdauungssystem bald auch Durst und Hunger verspüren, denn sie muss den müden Muskeln Energie nachliefern. Die Antilope ist auch erschöpft und wird in der Nacht den Stress durch intensivere Tiefschlaf-Phasen und vielleicht auch Träume noch einmal verarbeiten9.
Was hat die Antilope mit unserer Gesellschaft zu tun?
In unserer Gesellschaft werden wir – zum Glück – heutzutage selten von Raubtieren angegriffen, sehen uns jedoch umso häufiger akuten und chronischen Stress-Situationen ausgesetzt. Abgabefristen und Erwartungen im Job, Beziehungsängste aller Art, Trennung und Scheidung, der Verlust eines geliebten Menschen, Krieg, Krankheit, Nikotinabusus, Ferienvorbereitung, (zu) hohe Erwartungen an sich selber, denen man dann selten gerecht wird, Angst vor Blossstellung und Mobbing, ein anstehender Umzug oder das Planen einer Hochzeit und viele andere Faktoren können zu Stress führen. Die Liste von möglichen Stressoren ist so divers, wie es Menschen gibt. Welche Auswirkungen diese Stressoren auf unsere physische und psychische Gesundheit haben, hängt hierbei auch sehr von Einstellung und Ressourcen der jeweiligen Person ab und wie sie damit umgeht. Zudem gibt es auch den positiven Eustress, welcher förderlich für unser Wachstum ist. Zu Eustress kann man hierbei sagen, dass wir Menschen, genauso wie die Antilope, sehr gute Mechanismen haben, um akutem Stress zu begegnen. Wir werden sogar stärker und profitieren davon, wenn wir uns immer wieder kleinen Stressoren aussetzen oder ausgesetzt werden. Das Prinzip des Krafttrainings macht dies deutlich: Wir bringen freiwillig eine Steigerung in die Trainingseinheit ein, sodass der Körper etwas über seinem Ist-Potential arbeiten muss. In der eminent wichtigen Erholungsphase wird unser Körper, aus kluger Voraussicht, nicht nur kleine Zerrungen in den Muskeln reparieren, sondern auch überkompensieren und mehr Muskelmasse aufbauen, um sich für zukünftige ähnliche Trainingsreize vorzubereiten.
So profitiert auch die Antilope davon, wenn sie zwischendurch einem Raubtier begegnet und fliehen muss; sie wird dadurch kräftiger, schneller und wachsamer. Ohne dieses Training und der anschliessenden Regeneration wäre sie eine leichtere Beute für das erstbeste Raubtier, das ihr begegnet.
Wäre die Antilope nun täglich einer solchen Gefahr ausgesetzt, so können ihr Körper und auch ihr Geist nach kurzer Zeit nicht mehr mithalten. Die Erholungsphasen sind schlichtweg zu kurz. Sie wird im Verlauf immer schwächer und nervöser aufgrund des Schlafmangels, Appetitverlustes und Muskelabbaus. Ihr sympathischer Ast ist konstant überaktiv, ein hoher Tonus und maximale geistige Bereitschaft sind die Norm und durch die Stresshormone werden Abwehrsystem, Verdauung und Regeneration unterdrückt. Kurz: Das Autonome Nervensystem befindet sich in einem ungesunden Ungleichgewicht.
Durch den chronisch aktivierten Sympathikus wird das Herz der Antilope immer etwas zu schnell und mit erhöhtem Druck schlagen, was zu chronisch erhöhtem Blutdruck führen kann. Sie kann weniger Nährstoffe aufnehmen, hat weniger Ressourcen zum Regenerieren, ist durch das geschwächte Abwehrsystem anfälliger für Infektionen, schläft schlechter und leichter und wird sich unter diesen Umständen sicher nicht fortpflanzen können. Letzten Endes ist sie so geschwächt, dass sie eine leichtere Beute für einen Löwen wird oder auch einfach an einer Infektion erliegt. Es entsteht also durch den chronischen Stress ein Teufelskreis mit fatalen Folgen.
Menschen können mit solchem Langzeitstress genauso wenig umgehen wie die Antilope. Leider sind wir Spezialistinnen darin, uns selber Langzeitstress aufzuerlegen. Chronischer Stress kann die Gesundheit subtil und progressiv verschlechtern, wobei viele von uns körperlich gestresst sind ohne sich gestresst zu fühlen. Wöchentliche Deadlines, intensives Training, neue Lebensumstände, Liebeskummer, Phobien und konstante innere Selbstkritik werden als Stress interpretiert, das sympathische System wird hochgefahren. Es gibt hierbei auch ganz deutliche körperliche Signale, die uns darauf hinweisen, dass wir auf geistiger oder körperlicher Ebene dringend Erholung benötigen: Verspannungen, Kopf- und Kreuzschmerzen, eine unregelmässige oder fehlende Periode, unruhiger Schlaf oder Einschlafprobleme, Verstopfung oder Durchfall, Appetitlosigkeit oder auch übermässiger Appetit, Magenschmerzen, Infektanfälligkeit, Zähneknirschen in der Nacht, Empfindsamkeit, Gereiztheit, Unkonzentriertheit oder geringere Regenerationsfähigkeit nach dem Sport. Dies alles sind alltägliche körperliche Warnzeichen unseres Körpers, die nach Erholung und Regeneration verlangen.
Tagtäglich erhalten wir also richtungsweisende Signale von unseren Zellen, die über das Nervensystem mit uns kommunizieren. Wir nehmen dies allerdings nicht immer wahr, weil wir zu beschäftigt, zu absorbiert oder nicht genug sensitiv sind. So kommt es, dass wir als bewusste Wesen dennoch unbewusst und leider teils auch aktiv gegen unsere Empfindungen und körperlichen Bedürfnisse agieren, etwas, was uns von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Es macht grundsätzlich einfach keinen Sinn, sich gegen die eigenen körperlichen Bedürfnisse zu stellen.
Then why worry? – Emotionale Intelligenz als Helfer*in
Genau hier kommt unsere Fähigkeit der emotionalen und geistigen Intelligenz zum Zuge: Wir können uns nicht nur enorm gut selber stressen, sondern wir können auch lernen, uns aktiv zu entspannen und dem Stress entgegenzuwirken. Wenn wir unangenehme Gefühle und körperliche Beschwerden als intelligente Frühwarnsysteme betrachten statt sie als lästiges Übel abzutun, haben wir ein mächtiges Werkzeug zur Hand, schädliche Verhaltensmuster und ausgediente Einstellungen mit für uns nützlicheren zu ersetzen und unser Leben positiv zu beeinflussen. Wir können Entspannungsmechanismen erlernen und diese gezielt einsetzen. Wir können lernen, unseren Fokus auf das zu setzen, was wir uns wünschen und weniger auf das, was uns Angst macht. Die Fähigkeit, intern Energie aktiv bereitzustellen und extern um Hilfe zu bitten, ist erlernbar und vereinfacht das Angehen von stressvollen Situationen.
Wir haben nicht immer Einfluss darauf, was mit uns und um uns geschieht. Unsere Einstellung dazu jedoch können wir immer anpassen und unser Vertrauen in unsere eigene Kraft können wir immer stärken. Wir können immer lernen, uns weniger Sorgen zu machen und falls Probleme unlösbar sind, können wir lernen dies zu akzeptieren und gehen zu lassen.
Als bewusste Wesen könnten wir also unseren Körper darin unterstützen seine Arbeit zu machen, indem wir möglichst versuchen auf ihn zu hören, statt uns ab seinen Restriktionen zu nerven. Er will ja nur unser Bestes. Wir gehen also regelmässig Schlafen, wenn wir Zeichen von Müdigkeit verspüren ohne noch lange zu netflixen. Auch tagsüber gönnen wir uns regelmässig kleine Pausen, ohne Social Media oder Nachrichten. Wir können uns darin üben, bewusst und langsam durch die Nase ein- und auszuatmen und hierbei das Ausatmen länger fliessen zu lassen und eine sanfte Atempause einzulegen. Wir können uns auf die Bauchatmung achten und diese stets der oberflächlichen Brustatmung vorziehen, dies hilft auch wenn wir emotionale Regulation benötigen10. Wir hören auf frühzeitige Zeichen des physischen Hungers und Dursts und spüren am besten auch genau, nach was wir hungrig sind – Proteinen, Kohlenhydrate und Fett oder Vitamine. Wir beobachten auch Anzeichen anderer Arten von Hunger wie emotionaler oder lustvoller Hunger11 und essen genussvoll, langsam und ohne Ablenkung. Somit können wir vermeiden, dass wir uns Überessen, erhalten frühzeitig Signale der Sättigung und fühlen uns nach dem Essen gestärkt und energiegeladen statt voll und träge. Wir anerkennen, falls wir zu restriktivem Essverhalten neigen – aus emotionalen- und/oder Gewichtsgründen – und verstehen den Gegeneffekt, der in einem Kontrollverlust und somit Essanfall enden kann. Es ist wichtig, dass wir diese und andere Essensmuster aktiv und vor allem liebevoll angehen, die eigentlichen Ursachen und Bedürfnisse suchen und uns Hilfe holen, falls wir dies nicht alleine angehen können. Unsere Gesellschaft mit ihrem idealistischen unnatürlichen Körperbild hat massiv dazu beigetragen, dass sich Frauen wie Männer konstant zu dick, zu wenig muskulös, nicht sexy genug fühlen und sich wünschen, Gewicht zu verlieren. Es ist also an der Zeit, dass wir auch dieses ‘not good enough’-Credo aktiv hinterfragen und daran arbeiten, unsere Körper zuerst so anzunehmen, wie sie sind und erst in einem zweiten Schritt daran gehen, wie wir unsere Gesundheit und Fitness weiter optimieren können. Tägliche Bewegung an der frischen Luft ist hierbei eine einfache Massnahme. Auch beim regelmässigen Sport ist es wichtig, mindestens genauso viel Regenerationszeit einzuplanen und muskuläre Gegenspieler zu trainieren. Die Trainingsintensität sollte zudem stets dem aktuellen Energielevel und bei Frauen der jeweiligen Zyklusphase12 angepasst werden.
Es gibt über YouTube und diverse Apps Millionen grossartige Angebote für Yoga, Pilates, QiGong, Functional Training, die nur darauf warten genutzt zu werden und dabei helfen, sich vielseitig zu bewegen und Achtsamkeit sowie Körperwahrnehmung zu fördern. Lange Zugfahrten, Toilettengänge und Wartezeiten auf den ÖV sind stets gute Gelegenheiten, uns zu bewegen und zu dehnen. Teilweise inspirieren wir dabei sogar andere dazu, dasselbe zu machen (true story ☺).
Warnsignale des Körpers richtig deuten und entsprechend handeln
Wir erhalten immer auch Signale über unseren mentalen Status und unsere Gefühle. Spezifische Körperempfindungen gehen wahrgenommenen Gefühlen stets voraus und begleiten diese. So verspüren wir bei Trauer einen aufsteigenden Kloss im Hals, das Atmen fällt uns schwer, es macht sich ein Druck über dem Herzen breit oder wir haben physischen Herzschmerzen. Bei Wut schlägt das Herz immer schneller, die Muskelspannung erhöht sich und meist erfahren wir Hitze und haben ein gerötetes Gesicht durch das Erweitern unserer Blutgefässe. Bei Freude und Liebe richtet sich unser Körper automatisch auf, wir empfinden Leichtigkeit und vielleicht auch das Bedürfnis zu tanzen oder Luftsprünge zu machen. All diese Körperempfindungen erlauben uns, die jeweiligen Emotionen besser zu erkennen und dann auch Einfluss auf sie zu nehmen. So können wir uns bei Trauer oder Unzufriedenheit selbst im Spiegel zulächeln, was im Körper durch die Aktivierung der Lachmuskeln direkt positive Gefühle auslösen und uns tatsächlich etwas aufheitern kann. Wir können uns bei Wut oder Nervosität auf eine langsame Bauchatmung konzentrieren, unsere Empfindungen bedingungslos annehmen und uns dadurch besser zentrieren. Dies ist insofern wichtig, da viele von uns in ständiger bewusster oder auch unbewusster Angst leben, Fehler zu machen, sich zu blamieren, andere zu enttäuschen oder Schwäche zu zeigen. Wir haben Angst, nicht akzeptiert zu werden, nicht dazu zu passen oder ausgestossen zu werden. Dies sind existenziell relevante Gefühle, denn wir sind eine sehr soziale Spezies, sonst hätten wir evolutiv nicht so lange überlebt. Nicht umsonst ist das Gefühl der Einsamkeit so intensiv wie Hunger oder Müdigkeit. Gerade in der Corona-Zeit hat Einsamkeit – zurecht – eine neue Relevanz und Aufmerksamkeit erhalten13. Das Pflegen unserer Beziehungen trägt also ebenfalls massiv zu unserer Gesundheit und Wohlbefinden bei und soll ebenfalls nicht vernachlässigt werden.
Wir alle stehen also vor derselben Herausforderung, uns neu kennenzulernen und achtsamer mit uns und unseren Körpern umzugehen. Hierbei ist weniger häufig mehr: Sich Zeit nehmen, in sich hineinhören, Körperempfindungen wahrnehmen, beim Nichtstun die aufkommenden Gedanken mit Gleichmut beobachten, all dies kann uns helfen, Energie freizusetzen, Prozesse der Erkenntnisfindung anzukurbeln und Kreativität zu fördern. Es gibt keine Ärztin, Naturheilpraktikerin oder Guru, welche uns diese Arbeit abnehmen und uns vollständig gesund machen können. Und das ist gut so. Es ist an der Zeit, die Verantwortung für das eigene Wohlbefinden und die geistige und körperliche Gesundheit zu übernehmen und einzusehen, dass Körper und Geist eine Einheit bilden, sich gegenseitig beeinflussen und wir dies zu unserem Vorteil nutzen können.
Erfahre mehr über das spannende Angebot von chili-lotus oder trete direkt in Kontakt mit Katja und Andrea Barrueto.
Quellen
[1] Breath – Atem. Neues Wissen über die vergessene Kunst des Atems. James Nestor. (Erstveröffentlichung 21.05.2020)
[2] rachaelhartleynutrition.com/blog/four-types-of-hunger-in-intuitive-eating (20.03.2021)
[3] ROAR. How to match your food and fitness to your female physiology for optimum performance, great health, and a strong, lean body for life. Stacy T. Sims, PhD. (Erstveröffentlichung 05.06.2013)
[4] republik.ch/2021/01/30/eins-in-der-einsamkeit (20.03.2021)
[5] news.mit.edu/2001/dreaming (20.03.2021)
[6] de.wikipedia.org/wiki/Darmflora (20.03.2021)
[7] Es gibt verschiedene Aufzeichnungen darüber, dass durch spezifische Atemtechniken das Immunsystem aktiviert und das Verdauungssystem gesteuert werden kann. So sollen gewisse Menschen die Aufnahme von Schadstoffen über den Darm verhindern und Nonnen durch eine besondere Atemübung die Periodenbeschwerden verschwinden lassen und die Menstruation vermindern können. Dies ist jedoch wissenschaftlich noch nie nachgewiesen worden. Buchtipp: Breath – Atem, James Nestor. Tao-Yoga der heilenden Liebe, Mantak Chia.
[8] youtube.com/watch?v=Ox7Uj2pw-80 (20.03.2021)
[9] Embodiment: Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. Maja Storch, Benita Cantieni, Gerald Hüther, Wolfgang Tschacher. (Erstveröffentlichung 2006)
[10] Mehr zum Thema: aerzteblatt.de/archiv/50488/Praevention-und-Gesundheitsfoerderung-Ziel-ist-anhaltend-hohe-Lebensqualitaet (2006) und link.springer.com/article/10.1007/s00940-020-1777-y (2020)
[11] Unter kurativen Leistungen verstehen sich alle medizinischen Leistungen, die bei einer bereits bestehenden Krankheit anfallen: Diagnostik, Therapie, Nachsorge und Sekundärprophylaxe.
[12] obsan.admin.ch/de/indikatoren/MonAM/ausgaben-fuer-gesundheitsfoerderung-und-praevention-der-kantone-und-gemeinden (18.03.2021)
[13] de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Lorenz (18.03.2021)
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